Eigentlich will er doch nur erzählen. Egal in welcher Form. Parabeln und Fabeln, Grotesken und Kommentare, Traumsequenzen und dem Alltag entnommene Geschichten, sie alle gehören zum Repertoire von Heinz Rudolf Kunze, dem Rock-Poeten und modernen Lieddichter, dessen literarische Qualitäten seine musikalischen weit übertreffen. Und das will schon etwas heißen. Im komplett ausv erkauften Pantheon hat Kunze nun mit seinem Solo-Programm sein gesamtes Schaffen Revue passieren lassen, hat Hits und Raritäten aus fast 40 Jahren zum Besten gegeben und bewiesen, dass er zu Recht zu den ganz großen Singer-Songwritern der Bundesrepublik gezählt wird.
Im Gegensatz zu manchen anderen Künstlern seines Standes hält Kunze sich nicht zurück, lässt sich nicht den Mund verbieten, sondern redet Klartext. Zumindest gelegentlich. Ja, der 61-Jährige
liebt mitunter kryptische Verse und Assoziationsfelder, auf die selbst Herbert Grönemeyer nicht ohne weiteres kommen würde, aber mindestens ebenso gerne lässt er seine Zuhörer mit der rauen
Wirklichkeit kollidieren. „Es ist Krieg“, schmettert er klagend in den Saal, spricht später in „Aller Herren Länder“ über die Flüchtlingskrise und greift in grandiosen Wortbeiträgen Donald Trumps
alternative Fakten und Angela Merkels hohle Phrasen an. Es ist Kritik auf sprachlich allerhöchstem Niveau, getragen von herrlich eindringlichen Melodien (sofern es denn Lieder sind) und geäußert
von einem Mann, der das Wort genau so gut wie eine Klinge als auch wie einen Pinsel zu schwingen versteht.
Zugegeben, nicht immer sind seine Botschaften so eindeutig wie erhofft. Vor allem „Willkommen liebe Mörder“ ist viel zu oft in den falschen Hals geraten, wurde in der Vergangenheit vom rechten
Rand als Kritik an der Einwanderungspolitik der Bundesregierung aufgenommen, weil so manche Zeilen des 2014 geschriebenen Liedes durchaus auch auf radikale Islamisten bezogen werden kann. Und so
muss Kunze bis heute widerwillig erklären, dass er eigentlich den NSU-Prozess im Auge hatte und sich von Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ inspirieren ließ. Es ist das einzige Lied,
zu dem er sich äußert – alle anderen sollen für sich selbst stehen. Klappt nicht immer. „Der Kartenleger“ ist ähnlich kryptisch, ebenso wie „Das Dasein und ich“. Doch eigentlich stört das nicht.
Es gehört einfach zu einem Kunze-Abend, dass auch die ungewöhnlichen Ideen und die seltsamen Gestalten ihren Platz finden, ob sie nun Urinproben für jamaikanische Sportler abgeben oder in
Opposition zu sich selber stehen.
Natürlich kann Heinz Rudolf Kunze nicht ohne „Dein ist mein ganzes Herz“ von der Bühne gehen, seinen größten Hit, auf den das Publikum sehnsüchtig wartet. Und warten müssen sie. Denn Kunze lässt
sich Zeit. Viel Zeit. Insgesamt fast drei Stunden spielt und spricht er ohne Unterlass, ganz alleine, sich selbst an Gitarre und Klavier begleitend. Genüsslich schlägt er den Bogen vom
„Balkonfrühstück“ (1981) bis zu „Die Letzten unserer Art“ (2016), erinnert sich an seine Kindheit in der Alten Picardie und an eine Fotografie mit getrockneten Rotweinflecken – bis er
schließlich, gegen Ende, dann doch bei dem besagten Lied landet. Der Saal steht Kopf, feiert Kunze frenetisch, für dieses Stück ebenso wie für alle anderen. Ein starker, schöner, lyrischer Abend
mit einem Dichter, der die Musik als sein Medium gewählt hat und damit immer wieder aufs Neue zu berühren versteht.
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